Teil II – Das Mysterium der Wahrnehmung

Teil II – Das Mysterium der Wahrnehmung

Focus und Wahrnehmung

Wenn ich fokussiert bin auf einen bestimmten Bereich – zum Beispiel, die Vögel zu beobachten, oder zu schreiben, etwas zu bauen usw. kann es passieren, dass die Wahrnehmung meiner körperlichen Bedürfnisse, wie Hunger, Durst, Pipi – so in den Hintergrund treten, dass ich sie vergesse. Oder dass wir das Telefon nicht klingeln hören, weil alles andere aus der Wahrnehmung ausgeblendet ist.
Wenn ich aber keinerlei Fokus (willentliche Konzentration) habe, kann mich im schlimmsten Fall die automatische Wahrnehmung komplett fern steuern. Aber vielleicht ist das auch ein Glück?

Denn wenn keine bewusste Absicht da ist, kein Wille, dann würden wir ohne automatische Wahrnehmung „vor die Hunde gehen“, wie man so schön sagt.
Neugierde, Interesse und Begeisterung für etwas, fokussieren unser Bewusstsein – in diesen Fällen ist die Wahrnehmung und die Reaktion meist eine bewusste Entscheidung aus unserem Körper-Geist-Seele-Universum, ein „Ich will!“

Foto: Grit Scholz

Wahrnehmungsmuster

Meine Beobachtung ist, dass ich geprägt wurde, meine Wahrnehmung darauf zu konzentrieren, was es im Außen braucht, damit alles gut und harmonisch ist. Auf die Bedürfnisse und Erwartungen anderer – verbunden mit der Reaktion, mich in den Dienst zu stellen und die Bedürfnisse und Erwartungen der anderen möglichst zu erfüllen, auf eine Weise, dass man mir das nicht erst sagen muss.
Also hatte ich auch noch den vorauseilenden Gehorsam im Gepäck, was meine Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf das, was andere erwarten oder sich wünschen noch gesteigert hat. Darin bin ich Profi 🙂 Inzwischen habe ich das als wunderbare Fähigkeit anerkannt, solange ich nicht automatisch darauf reagiere, sondern bewusst wähle, ob ich in irgendeiner Form reagieren möchte. Somit bin ich kein „Gutmensch“ mehr…

Denn wer sich so dermaßen fokussiert, auf das, was andere brauchen, merkt nicht, was er selbst braucht. Ich hatte mich sozusagen in dieser Bewegungsform völlig verloren. Ich wusste nicht mal, was meine eigenen Bedürfnisse waren. Ich war der Überzeugung, ich bin hier in dieser Welt, um andere glücklich zu machen und wenn das gelingt, bin auch ich glücklich.

Ich las mal im Flugzeug: „Setzen sie sich zuerst die Sauerstoffmaske auf, bevor sie Kindern und anderen Menschen helfen!“
Das ist ein wesentlicher, erkenntnisreicher Satz für mich gewesen, denn zuerst muss ich mich um mich selbst kümmern, mich nähren, mich lieben, mich verstehen – damit ich anderen kraftvoll helfen kann oder sie auch kraftvoll und liebevoll in den Hintern treten. Denn für viele, die um Hilfe bitten und jammern, ist es gar nicht hilfreich, es einfach für sie zu tun – sondern bestärkt sie nur in ihrer Abhängigkeit. Viel schwieriger, als einfach zu helfen ist es, die Menschen dazu zu ermutigen, sich selbst zu befähigen. Denn das ist nur da erfolgreich, wo es auf fruchtbaren Boden fällt und manchen ist eben nicht zu helfen.

Selbstlos zu sein, was ja angeblich eine Tugend sein soll – ist in meinem Verständnis nicht der richtige Weg. Ich sehe es inzwischen als Programm, was durch bestimmte Maßnahmen und Erfahrungen in jeden Menschen geprägt werden kann, wenn man nur früh genug damit anfängt.
Dieser Mensch ist dann ein Automat – ohne selbst, zieht er für das Vaterland in den Krieg, oder opfert sich auf in der Pflege von Kranken, oder der Betreuung von Kindern, ein „Gutmensch“, ein „Ja-Sager“.

Da gibt es kein Selbst, was fähig ist bewusst wahrzunehmen, ob das stimmig und richtig ist, oder nicht, sondern das Programm sagt es ist richtig und niemand ist mehr da, der das hinterfragen, oder prüfen könnte.
Das andere Wahrnehmungsmuster ist, die Umgebung und die anderen Menschen möglichst auszublenden und den Fokus auf seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu richten.

Diesen Leuten kommt es kaum in den Sinn, etwas jemandem anderen zu Liebe zu tun, etwas zu schenken, jemandem zu helfen, zu überraschen – das gehört nicht zur alltäglichen Wahrnehmung. So etwas erscheint ihnen oft sogar falsch. Denn ihre Prägung, ihre Erfahrung hat sie gelehrt, dass die eigenen Wünsche zählen und alles andere eher schmerzhaft ist und unangebracht.

Manche ziehen sich zurück und machen einfach ihr Ding, andere entwickeln einen regelrechten Narzissmus und benutzen andere für ihre Zwecke.
Man nennt diese Menschen Egoisten und Narzissten – sie denken immer nur an sich und doch lieben sie sich nicht. Sie sind so bedürftig und im Mangel, egal was auch immer sie erreichen, was auch immer sie haben, es wird nie genug sein. Denn der Mangel ist die Unfähigkeit zu echter Verbundenheit und Liebe.

Die Wahrnehmungsmuster von „Gutmenschen“ und „Egoisten“ schränken also eine umfassende gesunde Wahrnehmung von dem, was IST sehr stark ein. Und beiden mangelt es an Selbstverbundenheit und Liebe – nur jeweils aus anderen Gründen und mit anderen Auswirkungen.

Warum merken manche nichts?

Was liegt zugrunde, wenn etwas offensichtliches geschieht – was die meisten Menschen im Raum deutlich wahr nehmen, aber Einzelne nicht? „Ach, das hab ich gar nicht mit gekriegt.“ Ist dann die verwunderte Aussage, wenn man sich danach austauscht, über das Erlebte.

Seelenebene

Die extreme Form von „nichts merken“ ist, wenn emotionale Zustände nahestehender Menschen, nicht nur vor den Augen passieren, sondern auch noch verbalisiert, angesprochen, ausgesprochen werden – und trotzdem keine Wahrnehmung und Reaktion erfolgt. Darüber hinweggegangen, zur Tagesordnung übergegangen wir.
Dann hat man das Gefühl: „Ich glaube ich rede gegen eine Wand?“
Jeder hat sowas sicher schon mal erlebt, vielleicht auch beide Seiten.

Wenn selbst das Hören nicht ankommt, dann liegt in der Wahrnehmungsfähigkeit eine Blockade vor. Diese Art Blockaden sind meist Schutzprogramme, die in früher Kindheit ihren Ursprung haben.

Ich war früher geneigt, diese Menschen, die nix fühlen und nicht mal hören können was der andere fühlt, als Unmenschen zu bezeichnen – weil es mir einfach unfassbar schien, wie so etwas möglich sein konnte.

Heute weiß ich, dass bei traumatischen Erlebnissen in der frühen Kindheit, die Seele scheinbar entflieht, sich in Sicherheit bringt. Der Körper überlebt das Trauma, konnte aber nicht die Wahrnehmungen der Seele trainieren und integrieren. (Die Seele ist meiner Meinung nach der Teil, der fähig ist, kollektiv zu fühlen, emphatisch zu sein durch den Zugriff auf das breite Feld der Emotionen und Freud und Leid der Menschheit, durch alle Zeitalter hinweg.)

Deshalb ist für Menschen, die solch eine Art Trauma erlebten, die Wahrnehmung auf der Seelenebene meist unmöglich. Und Erwartungshaltungen diesbezüglich werden immer wieder enttäuscht. Diese Menschen funktionieren oft auf rein sachlicher und/oder körperlicher Ebene, aber nicht seelisch.

Körperebene

Viele Menschen haben auch Wahrnehmungsdefizite auf der Körperebene. In seinem eigenen Körper wirklich zu Hause zu sein, sich in seiner Haut wohl zu fühlen, ist leider nicht selbstverständlich.
Hier gibt es unzählige Wahrnehmungsstörungen, die möglich sind, die kann ich gar nicht alle aufzählen.

Manche können nicht fühlen, ob eine Berührung angenehm oder unangenehm ist. Manche fühlen keinen körperlichen Schmerz. Manche fühlen ständig bei allem körperlichen Schmerz.
Manche haben das Bedürfnis ihren Körper zu zerstören, bewusst oder unbewusst – eine liebevolle Wahrnehmung des eigenen Körpers scheint unmöglich. Manche nehmen ihren Körper als ihren Feind wahr, oder ihren Widersacher. Manche sehen schlecht, oder hören schlecht und bei anderen ist der Tastsinn gestört.

Alles, was gesunde Körpersinne wahr nehmen können, kann durch im Körper gespeichertes Trauma blockiert werden. Erlöst man das Trauma, kehren die Wahrnehmungsfähigkeiten wieder zurück.

Geistesebene

Wenn die geistige Wahrnehmung, die Allverbundenheit, der Kontakt zur Quelle, zu Gott blockiert ist, dann können diese Menschen alles Mystische, Spirituelle und alles was hinter den Schleiern ist, nicht wahr nehmen. Für diese Menschen ist das meist Humbug und sie ziehen diese Dinge oft ins Lächerliche, weil es außerhalb ihrer Wahrnehmung, also auch außerhalb ihrer Erfahrungen und Vorstellungen liegt.

Es gibt viele unterschiedliche Ursachen und Gründe, warum bei einem Menschen die verschiedenen Wahrnehmungsebenen gestört sein können. Wichtig ist, dass es uns ins Bewusstsein kommt, dass es vielleicht so ist, damit wir uns auf den Weg der Ursachenforschung und Heilung begeben können.

Der Mensch ist ein wahrnehmendes Wesen

Wenn die Wahrnehmung von Körper, Geist und Seele frei fliessen kann, weil in keinem Bereich eine größere Blockade ist, dann kommt es meiner Meinung nach nur auf den Fokus an und auf die bewusste Entscheidung. Dem, was wir wahr nehmen können, sind dann keine Grenzen gesetzt.

Oft ist zu beobachten, dass einzelne Menschen bestimmte Stärken haben. Manche sind absolute Profis in der Körperwahrnehmung und haben das bis zur Meisterschaft entwickelt. Andere sind die perfekten Emphaten und sind Spezialisten in der Seelenwahrnehmung und wieder andere haben ihre Befähigung eher auf der geistigen Wahrnehmungsebene und Zugang zu anderen Welten, Energien und Wesen.

Wenn wir uns darin erkennen und wertschätzen lernen und in die Co-Kreation eintreten, dann werden wir unsere Fähigkeiten verbinden können und gemeinsam daran wachsen.
Denn das Wahrnehmbare ist zu groß, als dass es ein Mensch alleine vollständig erkunden kann.

Das Resultat wäre, dass die blinden Männer, aus der Geschichte mit dem Elefanten, nicht in einen Streit ausbrechen, über das, was jeder einzelne wahrgenommen hat, sondern fähig sind, ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen wertschätzend zu untersuchen und zusammen zu setzen und dabei gemeinsam den Elefanten zu erkennen.

In diesem Sinne ist es mein Wunsch, dass wir gemeinsam herausfinden, wie alles mit allem zusammen hängt und welche Rolle wir darin spielen.

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