Teil I – Das Mysterium der Wahrnehmung

Teil I – Das Mysterium der Wahrnehmung

„Wieso merken die das nicht?“
Was nehmen wir wahr und was blenden wir aus
und warum tun wir das?

Foto: H.L.

In der Tat ertappe ich mich oft bei solcher Art Gedanken: „Wie kann man nur? Warum merken die das nicht?“ Dabei ist es völlig egeal, ob es um politische Themen geht, um Beziehungen, oder ganz alltägliches Verhalten im Haushalt, im Supermarkt oder sonst wo.

Selbst Menschen, die ich sehr liebe und wertschätze, tun oder sagen manchmal Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann, von da aus, wie ich die Sache wahrnehme. Da muss ich mich erst in ihre Mokassins stellen, um ihre Art der Wahrnehmung, oder Nichtwahrnehmung nachvollziehen zu können.

Wenn mehrere Menschen das gleiche Buch lesen, wird doch jeder seine ganz eigene Wahrnehmung und Interpretation des Inhalts haben und jeder wird unterschiedlich darauf reagieren.

An diesem Beitrag schreibe ich nun schon vier Tage, was äußerst ungewöhnlich ist, für mich. Doch das Thema Wahrnehmung ist so riesig und dehnt sich immer mehr aus und ich komme vom Hundertsten ins Tausendste, doch mehr als zwei Teile wollte ich diesmal nicht machen.
Also arrangiere ich mich mit der Unvollständigkeit 🙂
In letzter Zeit geht es mir bei fast allen Themen so, dass es mich regelrecht flutet, weil ich so deutlich sehe und fühle, dass tatsächlich alles mit Allem zusammen hängt und ich niemals zu einer vollständigen Betrachtung kommen kann, sondern es immer nur kleine, unvollständige Blitzlichter sind, die ich mit meinen Erkenntnissen und Erfahrungen in ein bestimmtes Thema hinein bringe.
So ist auch dieser Beitrag nur als Inspiration zu verstehen.

Unterschiedliche Wahrnehmungsfilter

Während meiner Forschung an mir selbst und an der Menschheit ist mir aufgefallen, dass wir alle unterschiedliche Wahrnehmungsfilter haben. Jeder Mensch ist so einzigartig und schaut durch seine ganz subjektive Wahrnehmungsbrille in die Welt.
Deshalb ist es ja auch so interessant, sich mit anderen auszutauschen, weil sie vielleicht Dinge sehen, erkennen und wahrnehmen – die wir selbst gar nicht bemerkt hätten.

Co-Kreation oder Spaltung

Nun kommt es darauf an, wie wir mit unseren unterschiedlichen Wahrnehmungsfähigkeiten und dem, was sich daraus für unterschiedliche Realitäten ergeben, umgehen.
Wir könnten das als Bereicherung empfinden und offen und neugierig sein, für andere Sichtweisen und Wahrnehmungen oder wir spalten uns ab und wollen mit anderen Sichtweisen nichts zu tun haben. Unsere Version der Realität ist uns heilig und alles andere kann nur krank oder sonst wie falsch sein.

Krieg oder Frieden

Es wird deutlich, dass hier die Weichen für Krieg oder Frieden gestellt werden. Deshalb ist die Wahrnehmungsfähigkeit und wie diese geprägt, kontrolliert, blockiert oder erweitert werden kann, ein sehr, sehr wesentliches Thema.

Wahrnehmungsfähigkeit

Prinzipiell sind wir Menschen, mit unserem Körper-Geist-Seele-System ausgestattet und jeder Bereich hat unterschiedliche Wahrnehmungsoptionen.

Foto: H.L.

Unser materieller Körper hat folgende 12 Sinne:

1. Tastsinn5. Wärmesinn9. Hörsinn
2. Gleichgewichtssinn6. Sehsinn10. Sprach- und Wortsinn
3. Bewegungssinn7. Geschmackssinn11. Gedankensinn
4. Lebens- und Vitalsinn8. Geruchssinn12. Ich-Du-Sinn (Empathie)

Unser Geist ist der Teil, der direkten Zugang zur Quelle oder zu Gott hat und über Inspiration und wahres Wissen verfügt. Also ein tieferes Sehen und komplexes Erkennen ermöglicht – was über das sehen der Augen weit hinaus geht. Hier sieht das 3. Auge, die Zirbeldrüse…
Durch unser Herz haben wir meiner Meinung nach eine Verbindung zwischen Geist und Körperwissen und unserem Emotionalkörper.
Unsere Seele ist meiner Meinung nach der Teil, der fähig ist, kollektiv zu fühlen, emphatisch zu sein durch den Zugriff auf das breite Feld der Emotionen und Freud und Leid der Menschheit, durch alle Zeitalter hinweg.

Wären alle unsere Wahrnehmungsoptionen optimal zugänglich und wären wir fähig, diese bewusst zu nutzen, dann hätten wir immer noch sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, von Mensch zu Mensch – aber diese wären dann authentisch und nicht limitiert, programmiert, blockiert, oder sonst wie automatisiert.
Letzteres ist leider das heutige „Normal“ geworden. Doch da steigt man nur dahinter, wenn man das intensiv beobachtet, bei sich selbst und anderen.

Automatisierte Wahrnehmung

Wie das Wort schon sagt, kennen wir das alle vom Auto fahren. Wir trainieren dafür unsere Wahrnehmungsorgane und unseren Körper, um die komplexen Abläufe während des Autofahrens zu erlernen. Irgendwann weiß unser „System“ Bescheid und tut die wesentlichen Dinge automatisch, wir müssen dann nicht mehr darüber nachdenken. Beobachten, Schilder lesen, Bremse, Gas, Kuppeln, Lenken – am Anfang ist das schwierig und stressig, das alles koordiniert zu bekommen, doch ein routinierter Fahrer, muss sich um all das kaum noch kümmern – es geschieht wie von selbst, man kann dabei mit anderen reden, essen, trinken, träumen und ein automatisierter Teil steuert den Wagen sicher ans Ziel.
Die Meisten lernen auch so Musikinstrumente spielen, oder handwerkliche oder andere körperliche Fähigkeiten. Durch Training und ständiges Wiederholen werden wir zu Spezialisten.

Dabei gibt es aber auch Ausnahmefälle. Es gibt Menschen, die können irgendetwas ohne es trainiert und mühsam studiert und erlernt zu haben, was anderen niemals ohne Training gelingen würde.
Wie das zu erklären ist, bleibt vorerst ein Rätsel, auch wenn es viele Theorien dazu gibt.

Das wir programmierbar und lernfähig sind, ist ungeheuer praktisch und deshalb nutzen wir das so oft, dass wir schon fast zu selbst zu Automaten geworden sind. Bei so vielen alltäglichen Dingen, schalten wir meist unbewusst auf Autopilot. Da ist niemand mehr da, der bewusst wahr nimmt, bewusst wählt und bewusst entscheidet, denn das wäre im Alltag bei vielen Dingen viel zu stressig.

Wir finden diese Automatisierungen überall da, wo wir eine Art Routine entwickelt haben.
Und da wo wir keine Routine haben, bei neuen Umständen, neuen Tätigkeiten, ungewohnten Anforderungen, empfinden wir oft Anstrengung, Aufregung, Unsicherheit. Wenn wir uns daran „gewöhnt“ haben, kommen wir besser damit klar.

Ich denke mal die meisten „Programme“ haben wir nicht selbst bewusst installiert, sondern sie sind uns passiert. Wir haben sie sozusagen übernommen. Das Außen, die Welt, die Umstände, die anderen Menschen, die Anforderungen haben es diese Automatismen aufgezwungen. Zumindest kommt es mir so vor, wenn ich analysiere, wie das bei mir selber so ist.
Und ich kann sehen, dass ich schon immer einen Drang hatte, aus diesen „so macht man das-Programmen“ auszubrechen. Diese Dinge zu hinterfragen und selbst bewusst zu entscheiden, wie ich es stimmig finde.

Ich habe zum Beispiel die Routine entwickelt, in meinem Haushalt gar nicht erst großen Dreck und Unordnung entstehen zu lassen, weil so etwas sauber zu machen, oder aufzuräumen für mich einfach fürchterlich ist und ich mich auch sehr unwohl fühle, in einem dreckigen Durcheinander. Ich halte einfach den Zustand von Ordnung und Sauberkeit aufrecht, das passiert anstrengungslos automatisch nebenbei.
Es gibt Menschen, die nehmen es gar nicht wahr, dass es schmutzig ist, oder unordentlich, weil sie dann Stress kriegen würden. Sie haben sozusagen einen Filter installiert, der das ausblendet.

Wenn ich mit meiner „Automatik“ in solche Haushalte komme, muss ich mich ganz bewusst zurück halten, dass nicht mein „Auto“ einfach los fährt und Ordnung und Sauberkeit herstellen will 🙂

Die Frage ist, ob wir unsere „Automatiken“ bewusst gewählt haben, weil wir das so mögen, oder ob wir gar nicht wissen, was wir tun und warum, oder zwanghaftes Verhalten haben, darunter leiden und das nicht abstellen können. Weil uns einfach nicht klar ist, wie das funktioniert und wer oder was uns steuert.

Ich habe auch an anderen Stellen Automatiken eingebaut, die mir nützlich sind und ich denke jeder Mensch hat so etwas, ob bewusst oder unbewusst.
Wenn es uns aber nicht bewusst ist, dann laufen wir nicht nur Gefahr Opfer von zwanghaften Verhalten zu sein, sondern können auch übergriffig sein, oder sonst wie unangemessen handeln, sobald wir mit unseren Programmen andere Felder betreten – bei anderen Menschen zu Gast sind.

Deshalb hier die Einladung, bei sich selbst mal zu schauen, wo und warum man solche Automatiken hat und ob einem das schon mal auf die Füße gefallen ist – da wäre es angebracht, bewusst zu wählen, was jetzt angemessen gewesen wäre.

Beispiele für automatisierte Wahrnehmung

Mein Bruder arbeitet beim TÜV. Er ist es gewohnt, mit prüfendem Blick die Dinge zu betrachten und auf Sicherheit zu testen. Wenn man das tagtäglich tut, dann automatisiert sich dieser Blick und auch außerhalb der beruflichen Praxis wird überall geprüft. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern die Wahrnehmung ist so trainiert, dass sie das automatisch wahr nimmt und daran gekoppelt ist die entsprechende Reaktion, als wäre man im Dienst.

Meine Freundin kennt sich mit Vögeln gut aus, sie liebt auch die Fotografie, das Beobachten und Erforschen der Natur. Wenn sie hier im Garten sitzt, egal wie vertieft wir in ein Gespräch sind, hört ihre trainierte Wahrnehmung die Vögle zwitschern und reagiert automatisch darauf – so erfahre ich dann, wer da gerade so laut singt.

Ich habe auch automatisierte Wahrnehmungen, die aus Prägungen, meist aus der Kinderzeit stammen. Ich nehme sofort wahr, wenn jemand im Umfeld unglücklich, beleidigt, angespannt oder sonst wie geschmerzt ist. Und die automatische Reaktion war, dass es mir selbst schlecht ging und ich mich deshalb verantwortlich fühlte, dafür zu sorgen, dass es dem anderen Menschen besser ging, dass ich Verständnis und Mitgefühl ausdrückte und irgendwie Energie lieferte, um den Zustand des anderen zu verbessern, damit es mir selbst gut ging. Also aus egoistischen Gründen 🙂

Das ich das wahrnehme – kann ich nicht ändern, dazu müsste ich mich künstlich blockieren, das möchte ich nicht. Doch meine Reaktion darauf, kann ich lernen bewusst zu steuern und zu wählen, was jetzt angemessen und stimmig wäre.

Automatisierte Wahrnehmung ist verknüpft mit Handlung

Mir ist aufgefallen, dass nur unsere automatischen Wahrnehmungen mit einer spontanen, berechenbaren Reaktion oder Handlung verknüpft sind.
Willst du also einen Menschen kontrollieren und berechenbar machen, dann sorge dafür, dass seine Wahrnehmungen automatisiert werden. Und das ist das, was wir Bildung und Zivilisation nennen. Andere nennen es inzwischen die „Matrix“.

Eine freie Wahrnehmung, einfach nur zu sehen, zu fühlen was ist – ist nicht zwangsläufig mit einer Reaktion verknüpft. Diese kann sich zwar ergeben, wird aber dann in jedem Fall eine bewusste Entscheidung sein.

Zusammenfassung der automatischen Wahrnehmungen

Es gibt also Zusammenhänge, da werden wir trainiert, oder trainieren uns selbst, auf bestimmte Dinge zu achten, diese wahr zu nehmen und entsprechend zu reagieren und zu handeln.
Man könnte sagen, dass bei bestimmten Wahrnehmungen Programme anspringen, die in uns installiert wurden, oder die wir selbst installiert haben. Die Wahrnehmung ist dann Teil des Programmes, also die Ursache und die automatische Reaktion ist die Wirkung.
Diese Wahrnehmungen laufen meist unbewusst ab. Nicht selten denken wir, so sind wir halt.
Oder andere denken: “Ah, typisch…“ Denn man erkennt diese Muster, weil sie sich wiederholen.

Deinstallieren von hinderlichen Programmen

Eine Möglichkeit ist, sich selbst zu untersuchen und zu schauen, was für Wahrnehmungsprogramme da laufen, welche man selbst gemacht hat und wozu? Welche von denen sind Prägungen und wie kamen diese zustande und wozu?
Die Wahrnehmung ist meist gar nicht das Problem, sondern die Reaktion darauf, die Gedanken, Gefühle und Handlungen – diese gilt es dann bewusst zu stoppen und Neutralität in die Wahrnehmung zu bringen. Indem man Bewusstsein in diese Sache gebracht hat, hat man den ersten Schritt schon getan.
Man wird sich bei jeder zukünftigen automatischen Wahrnehmung und Reaktion die man nicht mehr möchte, auf frischer Tat ertappen und kann das im besten Fall kommunizieren, oder sonst wie korrigieren. Irgendwann wird es aufhören, dass wir automatisch reagieren.

Cyborg - Bild von 0fjd125gk87 auf Pixabay
Cyborg – Bild von 0fjd125gk87 auf Pixabay

Was nehmen wir alles NICHT wahr und warum?

Das Spektrum des Wahrnehmbaren ist so komplex und riesengroß, dass es kaum möglich ist, zu jeder Zeit alles Wahrnehmbare wahr zu nehmen. Ich glaube dass wir generell immer nur einen winzigen Bruchteil von dem was IST, wahr zu nehmen in die Lage sind.
Die Frage ist, wer oder was entscheidet darüber, was wir wahrnehmen und was nicht und wie unsere Reaktion ausfällt?

Es gibt die s.g. hochsensiblen Menschen, die scheinbar ein größeres Wahrnehmungsspektrum im Alltag, oder in bestimmten Bereichen haben, als der Durchschnittsmensch.
Diese Tatsache sorgt dafür, dass diese Menschen oft völlig überfordert sind, auf allen Ebenen und Strategien entwickeln müssen, wie sie mit ihren Wahrnehmungen umgehen – um darin nicht völlig verloren zu gehen und das eigene Leben nicht meistern zu können.

Viel Wahrnehmung = viel Stress?

Wenn die Wahrnehmung nicht frei ist, sondern eine Reaktion verlangt, eine Beurteilung, eine Handlung oder Gedanken und Gefühle ausgelöst werden, die sich im Kreise drehen – dann kriegen wir stress, wenn zu viele Wahrnehmungen gleichzeitig unser „System“ fluten.
Wenn es uns gelingt, nur wahr zu nehmen, ohne zu reagieren, dann kostet das weder Kraft noch Nerven.

Ich frage mich, ob man diese freie, reaktionslose Wahrnehmung auch trainieren kann?
Was nicht bedeutet, dass man nicht bewusst wählen kann, ob und wann und wie man reagieren will.
Aber diese Reaktion ist dann nicht automatisch, sondern automatisch ist da Beobachten und Frieden.

…weiter zu Teil II

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